Die 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven, der zum Zeitpunkt ihrer Uraufführung vollständig sein Gehör verloren hatte, gleicht einem Wandgemälde der Welt im Übergang in ein neues Zeitalter. Der Mensch findet in ihm, so die Kernaussage der „Neunten“, in der Rückbesinnung auf die Schöpfung zurück zur allumfassenden Gemeinschaft. Im Hinblick darauf spiegelt „Beethoven. Unerhört. Grenzenlos.“ Themen, die Markowitz und Gmür bereits in ihren jüngsten Werken „Die vier Jahreszeiten“, „Brahms – Glaube Liebe Hoffnung“, „Wolken, die uns nicht tragen“ und „45“ immer wieder verhandelt haben: Mensch und Gesellschaft in Raum und Zeit, Energie und Liebe, Verlust und Erlösung. Von zwei Choreografen geschaffen, entsteht so ein Tanzstück aus verschiedenen Perspektiven über starke Kräfte, die gegensätzlich auf Mensch und Welt einwirken, beide geformt haben und herausfordern. Guido Markowitz: „Beethovens Musik gleicht dem Einreißen von Mauern. Gleichzeitig habe ich den Eindruck, dass immer mehr Mauern wiederaufgebaut werden. Diese gegensätzlichen Vorgänge und die intensiven emotionalen Zustände, die damit verbunden sind, sind das, was mich als Choreograf interessiert“. Co-Choreograf Damian Gmür ergänzt: „Mich interessieren Energie und Details, die unsere Gegenwart charakterisieren. Das Kämpfen, das Protestieren, die Ausbreitung, die Manipulation und der Gegensatz zwischen Wahrheit und Lüge."
Markant: Tänzerinnen und Tänzer des Urban Theater Pforzheim Lab wirken in „Beethoven. Unerhört. Grenzenlos.“ erstmals an einer großen Produktion des Ballett Theater Pforzheim mit. Die Vielfalt von Tanz als Energie, Sprache und Stil ausschöpfend, überführen Guido Markowitz und sein Team so Beethovens „Evangelium der Weltharmonie“, in dem der Mensch, so Friedrich Nietzsche, das Gehen und Sprechen verlernt habe und auf dem Wege sei, tanzend in die Lüfte emporzufliegen,- in mitreißende, seismografisch funktionierende Bilder und eine spannungsvolle, assoziationsreiche Erzählung über Mauern, deren Aufbrechen, das Unerwartete und Nichtvorstellbare und Verändern.
Nachdenklich machen wird der Schluss dieser neuen Premiere: Der berühmte vierte Satz mit Friedrich Schillers Zitat „Freude, Schöner Götterfunken" als Ausdruck universeller Gemeinschaft wird nicht mit einem groß besetzten Chor realisiert werden. Intendant Thomas Münstermann: „In Zeiten der Pandemie, in denen wir alle Nähe und Gemeinschaft schmerzlich entbehren müssen, bleibt Beethovens berühmter 4. Satz im doppelten Sinne unerhört. Seine Botschaft hat aber nichts von ihrer Radikalität und Bedeutung verloren – im Gegenteil.
Diese Vorstellung wird über das Programm NEUSTART KULTUR durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert.